Donnerstag, 27. Januar 2011

Da hat aber jemand mächtig abgezahnt


Mami und Papi stehen (noch ein wenig) unter Schock.

Ich selbst stehe (noch ein wenig) unter dem schützenden Schirm einer Vollnarkose.

Und habe zwangsläufig ein kleines "S-Z-Problem".
(Nein, nicht "ß-Problem" - aber Ihr werdet das schon verstehen.)

Passiert ist Folgendes:

Die langfristig geplante und mittlerweile äußerst notwendige Chirurgie meiner Beißwerkzeuge wurde nicht überraschend aber doch sehr plötzlich und kurzfristig vorverlegt und fand heute statt. Vier Stunden dauernd und unter der oben erwähnten Schirmherrschaft lässt sich kein anderer Begriff als "Chirurgie" anwenden.

Es ist nicht so, dass es mir schlecht ginge. Auf gar keinen Fall. Direkt nach der OP kam ich nach Hause und verlangte nach meiner Lieblingstanzlehrerin (Papi dreht da bestimmt bald ein youtubisiertes Filmchen) , deren DVD mir auch gewährt wurde, obwohl ich eigentlich im Bettchen liegend ausruhen sollte, was sich allerdings nur durch den Einsatz sehr reißfester Stricke hätte realisieren lassen.

Bevor ich die OP antrat, war uns allen klar gewesen, dass es da eine ganze Menge Dinge in meinem Mund zu erledigen gab. Wie viele "Dinge" es aber wirklich werden würden, war weder Mami noch Papi in ihren jeweils schlimmsten Zahn-Albträumen erschienen.

Die medizinische Unabdingbarkeit der heute vorgenommenen Reparaturen - vor allem hinsichtlich der optimalen, gesunden und geometrisch-symmetrischen Entwicklung der in einigen Jahren ans Licht meines Mundinneren dringen wollenden "richtigen" Zähne - ist verständlich und akzeptiert. Das (schockierende ... siehe Satz N°1 dieses Beitrags) Problem ist wohl eher der optisch-ästhetische Aspekt. Wir alle wissen, dass Gottfried Kellers "Leute machende Kleider" in den knapp 140 Jahren seit ihrer Ersterwähnung kaum an Relevanz verloren haben ... aber wenn wir einmal etwas genauer hinter die Kulissen der "Erste-Welt-Werbe-Anschläge" unserer Tage linsen, müssen wir uns dann nicht eingestehen, dass "Kollgahte&Co" die von Gottfried beschriebenen Prioritäten ein wenig relativiert haben?

Als der Mann mit dem betäubenden Beruf Mami fragte, ob ich denn schon einmal operiert worden wäre, fing sie mit einem Affenzahn an aufzuzählen. Nach etwa der Hälfte der beschriebenen OPs aus der Vergangenheit winkte der Herr Doktor ab. Und machte sich an seine Arbeit.
Graf Zahn aus der Sesamalllee wäre mit allen Fingern seiner beiden Hände nicht in der Lage gewesen, nachzuvollziehen, wie viele meiner Milchdingens mir gezogen wurden.
Die komplette obere Reihe. Und mehr als halbe untere. Ersetzt wurde die ganze Geschichte mit Metallkronen. Wenn also in der englischen Monarchie jede/r König/in seine ganz eigene Krone bekommen hätte - ich habe mehr als alle zusammen.


Auch wenn es den Anschein hat, als könne man sich daran gewöhnen, sieht das Ergebnis im ersten Moment doch ziemlich schrecklich aus. Aber was soll ich tun? In Bayern sagt man "mia zahn mia", ich sage "Ich bin ich". Fertig. (Obwohl es zugegebenermaßen ein wenig Überwindung kostete, dieses Foto zu zeigen.)

Ein gefährlicher Mensch bin ich jetzt geworden. Sozusagen ein Bisswunder. Die Frau Doktor sagt, wenn ich jetzt jemanden beiße, dann würde dieser ernsthaft verletzt werden.

Als Zahnehäubchen wurde dann auch noch festgestellt, dass aller Wahrscheinlichkeit nach meine Mandeln raus müssen. Prima! Hab ich doch den Operationssaal schon richtig vermisst.

Einen Vorteil der zahnigen Angelegenheit muss ich aber dennoch erwähnen.
Da die Frau Doktor darauf besteht, mich weiter zu behandeln, komme ich wohl in den Genuss, in meinem Therapiezentrum (Teletón) weitermachen zu können, in dem normalerweise bei Erreichen des vierten Lebensjahres Feierabend ist. Vor allem die Sprachtherapie ist da jetzt ganz wichtig. Und da werden im Teletón eben nicht nur Qualität, sondern auch niedrige Kosten geboten. Was die OP betrifft, haben wir noch nicht einmal Anzahnung geleistet.

Nun gut, es geht also munter weiter.
Meine Geschichte bleibt weiterhin eher eine Krankengeschichte.
Wenn man das so sehen will.
Ich will nicht.
Und auf dem Zahnfleisch gehe ich noch lange nicht.

Samstag, 15. Januar 2011

Erfreulich: Kehrtwende in der "D-Frage"

Sport, storytellers, Philosophisches, Maximilian, Mexiko, Down-Syndrom, Diskriminierung, Behinderung, Die deutsche Fußball-Nationalmannschaft bzw. Herr Löw muss(te) die "K-Frage" klären; bei der Borussia aus Dortmund ist selbst nach dem Sieg in Leverkusen und dem heute folgenden Sieg-Vermasselns des Vereins aus der bayrischen Hauptstadt (im Prinzip alle "Fach-Weltler" beziehen sich bei ihrem unvermeidlichen Senf bzgl. des kommenden deutschen Meisters in der ersten Fußball-Bundesliga auf die Punktedifferenz zwischen dem BVB und dem FCB, selbst wenn die beiden nach dem heutigen Spieltag - egal ob Hannover gleich gewinnt oder auch nicht - 4 Tabellenplätze trennen) das "M-Wort" tabu.

Meine ganz eigenen Probleme sind bekanntermaßen bescheidenerer Natur und meine ganz persönliche "K-Frage" ist ohne Frage die Frage nach einem Kindergarten, der mich akzeptiert. In diesem Zusammenhang war schnell das "D-Wort" zur Stelle. Ob berechtigt oder nicht, ist schwierig zu entscheiden, denn da kommt es auf die Sichtweise jedes Einzelnen an. Und man muss außerdem den Weg über die Definition und das Verständnis des Wortes "Diskriminierung" in der jeweiligen Sprache gehen, um urteilen zu können.

So einfach ist das nämlich gar nicht mit dieser viel zitierten Gleichbehandlung, auf die ich angeblich ein Recht habe. Denn Gesetze machen manchmal eine ziemlich komplizierte Angelegenheit daraus. Wohl der Regierung, die in dieser Hinsicht einen Weg findet, mit dem alle Beteiligten zufrieden sind.
Vielleicht muss ich hier einmal klarstellen, dass ich aus logischen Gründen gar nicht auf eine gesetzestreue "Gleichbehandlung" aus bin. Sondern viel eher auf eine "Gleichbehandlung" auf Basis des gesunden Menschenverstandes.

Ich versuche mal, es zusammenzufassen: Ich wünsche mir die Chance, mich unter meinen gegebenen Voraussetzungen so gut wie möglich entwickeln zu können, ohne Andere in ihrer Entwicklung zu behindern. Nicht mehr, nicht weniger.

Was aber - bevor wir uns der Philosophie noch mehr hingeben - ist da nun eigentlich mit diesem Rausschmiss gewesen?
Die kurze Antwort lautet: Er wurde nie wirklich vollzogen.
Denn an dem Abend und in der Nacht, nachdem ich den Beitrag geschrieben hatte, wurden noch zahlreiche Telefongespräche geführt. Deren erstes Resultat war, dass ich noch mindestens bis zum Wochenende bleiben konnte, damit Mami und Papi überhaupt die Möglichkeit bekämen, etwas anderes zu finden. Deren zweite Konsequenz war, dass sofort am nächsten Tag eine "Ssjuprweisr" ihren kompletten Arbeitstag mit mir verbrachte. Begleiterscheinend reichten Mami und Papi noch ein paar Kopien von Untersuchungsergebnissen und Ähnlichem ein - und die Sache war geritzt.

Gabriela hat recht behalten: "Bis dahin hätte er bestimmt alle um den Finger gewickelt" (siehe Kommentar hier - nur, dass es viel schneller ging)

Es war Angst.
So gut wie sicher.
Angst vor etwas, das mir hätte passieren können.
Angst aufgrund fehlender Erfahrung und fehlenden Wissens.

Ihr solltet mal sehen, wie ich heute (nach nur einer Woche) willkommen geheißen und verabschiedet werde in diesem meinem neuen Paradies!

Ob Ruud "Van the Man" Nistelrooy in die spanische Hauptstadt zurückkehrt?

Montag, 10. Januar 2011

Rausschmiss nach 3 Tagen - Diskriminierung kann schmerzhaft sein



Herzlich willkommen im Jahr 2011!
Ich wünsche Euch von ganzem (und repariertem) Herzen, dass es ein unter möglichst vielen Aspekten erfolgreiches und vor allem mit prächtiger Gesundheit einhergehendes Jahr sein mag.

Obwohl der Titel dieses Beitrags nicht viel Gutes erwarten lässt, möchte ich Euch doch nicht vorenthalten, dass ich ein paar herrliche Wochen erleben durfte. Besonders aufregend wurde es fraglos ab dem Datum, welches ich Euch als "V I E R" vorstellte.

Ins Detail will ich hier aber gar nicht (mehr) gehen, sondern eher Anschluss an die "Last Days in Paradise" suchen. Denn plötzlich haben wir ein Problem. Ein Problem, das dadurch erzeugt wurde, dass ich als behindert gelte. Ich habe nicht vor, hier aus Begriffsdefinitionen Pferde zu machen und selbige zu besteigen. Aber erzählen will ich Euch von dem Problem:

Alles begann ziemlich viel versprechend.
Während der Weihnachtsferien gelang es Mami und Papi getreu (nicht nur Klischee-)mexikanischer zeitlich betrachteter Bedürfnis-Aktion-Handhabe, ein potentiell neues Paradies für mich aufzutun. Für die kommenden etwa 7 Monate, bevor es mich eigentlich in den "Kinder" a.k.a. "Preescolar" verschlagen soll.
Wie es aber manchmal mit Last-Minute-Entscheidungen so ist, konnte es besser kaum kommen. Mami und Papi hatten schon vor geraumer Zeit eine Art Prioritätenliste erstellt, die es im Nachhinein relativ einfach machte, die für uns alle vorteilhafteste KiTa für mich auszuwählen. Ganz oben in dieser Liste stehen nicht etwa Punkte wie "behindertengerecht" oder ähnliche, mit meinem Extrachromosom im Zusammenhang stehende Punkte. Dort stehen Begriffe, die nicht als Pro oder Kontra, sondern als schlichte Bedingungen verstanden werden müssen. Im Sinne des Wortes: Voraussetzungen, deren Nicht-Erfüllung meinen Besuch der Institution nahezu unmöglich machen würde.

Es geht da um Dinge wie "Ab wieviel Uhr werden die Kleinen empfangen?" (aufgrund unserer familiären Situation ist bei diesem Punkt "7 Uhr" als Antwort notwendig - gar nicht so einfach zu finden in Aguascalientes) oder die Kosten (da gibt es ein eindeutiges Limit).

Von den ersten 10 Punkten dieser Prioritätenliste erfüllte das vermeintliche neue Paradies 8. Eine tolle und unerwartete Punktzahl. Die erwähnten "Bedingungen" erfüllte sie komplett. Um nur 2 der "fetten" Vorteile zu nennen:
- Im Auto brauchen wir von der Höhle aus etwa 28,3 Sekunden (Ich laufe zwar jeden Tag besser, aber längere Strecken wie vielleicht 250 Meter sind morgens um 7 Uhr und mit Zeitdruck noch nicht unbedingt empfehlenswert).
- Mathematik: 2 Erzieherinnen kommen auf 8 Kinder. Wieviele Kinder kommen auf eine Erzieherin? Wieviele Erzieherinnen bekomme ich ab?

Kurz und gut: Das war eine feine Sache.

Ich habe keine Ahnung, wie Mami so direkt reagiert hätte. Aber Mami hat heute nicht gearbeitet (um an einer Elternversammlung in Niklas´ Schule teilzunehmen [mit 9,8 wurden seine jetzt schon viel ernsthafter bewerteten schulischen Leistungen des letzten bimestres 2010 benotet] und mehrere Einrichtungen auf der Suche nach einer neuen Sprachtherapie für mich aufzusuchen - nachdem ich altersbedingt keinen Platz mehr im Teletón habe) und so ergab es sich sich, dass Papi mich aus dem vermeintlichen neuen Paradies abholte. Ich schlief gerade, wie ich das Mittags gern tue, und Papi meint, dass er sich den literarisch so häufig zitierten Eiszapfen, zu dem sein Herz in jenem Moment wurde, nicht anmerken ließ.

Papi war es nämlich, der sich - um endlich Sinn und Verstand in den vorhergehenden Absatz zu bringen - die Worte der sichtlich verlegenen Chefin der KiTa anhören musste, laut denen ich dort plötzlich dank Anweisung von höheren Positionen aus nicht mehr sein dürfte. Dies trotz aller vorhergehender Versicherungen, dass ein Kind mit Down-Syndrom doch keinerlei Problem wäre.

In beziehungsweise ab diesem Moment kann ich nun viele Dinge in die Waagschale werfen. Was besagt das Gesetz? Bin ich eine Gefahr für Andere? Bremse ich die Anderen in ihrer Entwicklung? Hat man Angst vor mir? Wer? Warum? .....

Was am Ende übrig blieb, war ein einfacher und schlimmer Gedanke: "Ich gehöre nicht zu ihnen."
Was kann es Schlimmeres geben?

Schuldig bin ich Euch aber noch die wahrhaftig angebrachte Begründung (der Oberen):
"Mögliche Konvulsionen" (Krämpfe, Zuckungen)
Etwas, das mir noch nie passiert ist und wahrscheinlich auch nie passieren wird.
Etwas, das nicht in Einklang zu bringen ist mit meinem Mosaik-Down-Syndrom.
Aus welchem Finger hat man sich dieses fadenscheinige Argument gesogen?

Ich könnte verstehen, dass man mich loswerden wollte, wenn ich die anderen Kinder bedrohen, beissen, kratzen, verletzen, schlagen, in ihrem Lernprozess aufhalten ... oder sonst etwas würde. Ich könnte verstehen, dass die Erzieherinnen sich mit mir unwohl fühlen wuerden, wenn die Gefahr bestünde, dass ich plötzlich einen Herzanfall bekäme, epileptische Anfälle hätte, an meinem eigenen Erbrochenen ersticken könnte.

Nun ist aber - zumindest bisher - nichts von dem Genannten der Fall.
Ich beisse, kratze und haue schonmal, aber kaum mehr als andere Kinder.

Ich kann mich allerdings Siebentausend mal nach Gründen fragen.
Und das bringt mich keinen Schritt weiter.
Weiter bringt mich die Beantwortung der Frage: "Was nun?"
Sollen Mami und Papi auf die Barrikaden gehen?
Oder vielleicht doch besser der Devise folgen: "Wo man mich nicht haben will, da will ich auch nicht hin!"?

Ein Problem hierbei ist das Fehlen von Alternativen.
Wenn wir - die "Bedingungen" vorausgesetzt - einen Laden finden würden, der 5/10 (Prioritätenliste) erreicht, könnten wir uns glücklich schätzen. Aber vielleicht haben wir "glücklich" aufgebraucht. Denn seit meiner erfolgreichen Herz-OP hatten wir - den Umständen entsprechend - ziemlich viel davon.

Festzuhalten bleibt, dass ich nun endlich gemerkt habe, dass ich anders bin.
Die Gesellschaft und ihre Gesetzgeber tun so, als wollten sie alles dafür tun, damit einem Kind (oder auch nicht Kind) eine solche Erfahrung erspart bleibt. Gelungen ist dies der Gesellschaft und ihren Gesetzgebern nicht. Ich kann nicht penetrant-ignorant behaupten, dass ich doch dazu gehöre, solange man mir auf die beschriebene Weise das Gegenteil beweist. Ich muss allerdings ganz-sehr-doll auch sagen, dass es der Gesellschaft (inklusive ihrer Gesetzgeber) zumindest zum Teil doch gelingt. Denn die Begleitumstände der ersten 4 Jahre meines Lebens sprechen ihre eigene Sprache.

 
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